Aktuelles

Immatrikulationsrede 2021

Liebe Kommiliton_innen,

auch wir heißen euch willkommen an der Humboldt-Universität!

Ich bin Benjamin Kley, Vertreter des Referent_innenrats, kurz RefRat. Der RefRat ist die politische Vertretung der knapp 40.000 Studierenden an der Humboldt-Universität auf universitärer Ebene. An anderen Unis heißt sie meist AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss) oder StuRa (Student_innenrat). Auf Fachbereichs- bzw. Studiengangsebene gibt es Fachschaftsräte und - initiativen, die euch vertreten und beim Studium unterstützen.

Der RefRat gliedert sich in 16 Referate, die vom StuPa, dem Studierendenparlament, gewählt werden. Einmal im Jahr, i.d.R. im Januar, seid ihr zur Wahl des StuPas aufgerufen. RefRat, StuPa und Fachschaften sind alle Teil der studentischen Selbstverwaltung, die wiederum autonome Teilkörperschaft der Universität ist. Sie gibt sich ihre Satzung selbst und ist damit eine unabhängige demokratische Institution. Sie untersteht nur der Rechtsaufsicht der Universität.

Was machen wir? Wir unterstützen euch bei eurem Studium und eurem Engagement an der Universität, aber vor allem vertreten wir eure politischen Interessen universitätsintern und -extern. Wir haben ein sehr breit aufgestelltes studentisches Sozialberatungssystem (SSBS), bspw. mit der Studienfinanzierungs- und Bafög-Beratung, die Antidiskriminierungsberatung (ADB), verschiedene kostenlose Rechtsberatungen mit Anwälten und viele mehr. Es gibt zahlreiche Projekte der Studentischen Selbstverwaltung, wie die Zeitung HUch!, die vom Referat für Publikation herausgegeben wird, das Café Krähe, das Studentische Begegnungzentrum MoPs, die selbstorganisierte Fahradwerkstatt HUbschrauber und viele verschiedene Studigruppen, die z.B. die kritischen Orientierungswochen organisieren. Wenn ihr die Möglichkeit habt, lasst die Regelstudienzeit außen vor, mischt euch ein und gestaltet die Uni mit uns!

In den Beträgen, die ihr zur feierlichen Immatrikulation hören und sehen werdet, geht es vor allem darum, wie exzellent diese Uni ist, wie tolerant, wie demokratisch, wie fortschrittlich. Ein Blick hinter diese Fassade macht deutlich, dass vieles davon leere Worte sind. Jedes Jahr wieder werden wir eingeladen hier ein Grußwort zu sprechen. Und jedes Jahr zeigt sich wieder, dass ein Großteil der Kritik aus den Vorjahren noch aktuell ist:

Als neue Studierende der HU musstet ihr diverse Zulassungshürden überwinden und einige von euch wurden sicher in sehr umfangreichem Maße mit der Bürokratie dieser Hochschule konfrontiert. Manche von euch kennen uns vielleicht schon, weil wir euch helfen euer Recht auf einen Studienplatz einzuklagen. Manche von euch sind ohne Abitur, aber mit Berufserfahrung hier angekommen und werden noch schwerer zu kämpfen gehabt haben. Die  verschiedenen Hürden und Fehlinformationen, die aus dieser Hochschule, wie aus vielen anderen, ein Ort der sozialen Selektion machen werden euch auch weiterhin begleiten.

Viele denken, diese Selektion hört in dem Moment auf, in dem ihr euch einschreibt und danach würde Leistung zählen. Eine Leistung, die fair bemessen werden soll. Leider können wir euch keine Entwarnung geben. Ihr werdet oft genug erleben dürfen, wie von Dozierenden Frauen, Arbeiter_innenkinder, Ausländer_innen, queere oder nicht-weiße Personen anders behandelt werden. Ihr werdet auch erleben, dass Studien- und Prüfungsordnungen, Regelstudienzeiten, Beratungsangebote, Mensa-Öffnungszeiten, Lagepläne, Räumlichkeiten und vieles mehr, bei aller inklusiver Rhetorik immer noch gemacht und gedacht sind mit einem bestimmten Studenten im Kopf: männlich, deutsch, mit Geld und Zeit, ohne Kinder, ohne Behinderung, ohne chronische Krankheit.

Im Zugang zur Universität werden Bewerber_innen ohne deutsche Hochschulzugangsberechtigung nach wie vor durch zusätzliche, kostenpflichtige Vorprüfung von Zeugnissen seitens des Privatvereins uni-assist diskriminiert. Geflüchtete haben nach wie vor eine zu geringe Unterstützung, was Anerkennung bisheriger Leistungen angeht. Der Zugang zur Hochschule wird ihnen so nach wie vor praktisch unmöglich gemacht.

Wir setzen uns im Rahmen der akademischen und studentischen Selbstverwaltung dafür ein, dass diese Universität zumindest ihren Lippenbekenntnissen zu “Diversity”, “Barrierefreiheit” und “Familienfreundlichkeit” gerecht wird - auch wenn sie sie irgendwann aufgeben sollte. In den letzten Jahren haben wir auch einiges erreicht: Abgeschafft wurden etwa Anwesenheitskontrollen in Lehrveranstaltungen, Zwangsberatungen und Zwangsexmatrikulationen. Letztere zumindest, wenn euer Studiengang nicht mittendrin von der Uni eingestellt wird oder nur noch mit Lehramtsbezug angeboten wird. Die Anerkennung und Nutzung der richtigen Namen von Trans* Personen in Zeugnissen ist leider, nachdem es vormals bereits möglich war, unter dem aktuellen Präsidium wieder ein Streitthema. Wir haben uns - gegen den Widerstand der Universitätsleitung - erfolgreich für Prüfungsfreiversuche während der Coronakrise eingesetzt. Trotzdem bleibt vieles noch zu erreichen. Aber noch viel mehr gilt es zu verteidigen!

Die Humboldt-Universität befindet sich mitten in Berlin und ist auch Teil dieser Stadt. Als Studierende und als Universität haben wir zu oft die Tendenz, uns von Entwicklungen in Stadt und Gesellschaft abzukoppeln. Es ist aber auch unsere Aufgabe über die Grenzen der Universität zu schauen und aktiv zu sein.

Wir erleben seit 2020 sehr deutlich, wie sehr die Corona-Pandemie unser aller Leben einschränkt. Wie sie uns als Studierenden an die Existenz geht. Wir spüren alle den Unwillen der Politik, uns finanziell unter die Arme zu greifen und uns unser Recht auf Bildung zu sichern. Und wir sehen wie unfähig unsere Universitätsleitung ist, ihre großspurigen Bekundungen einzuhalten, wonach diese Pandemie keine Nachteile für Studierende haben solle. Insbesondere in diesem Semester, das laut waghalsigen Wahlversprechen der SPD und unserer Präsidentin die große Rückkehr zur Präsenz darstellen sollte, bleibt von diesen Ankündigungen für uns Studierende vor allem: Chaos, Unsicherheit und Verwirrung. Viele von uns konnten bis vor zwei Wochen noch nicht mal Vorlesungen belegen, bei einigen ist immer noch unklar, ob Vorlesungen in Präsenz oder Digital stattfinden. Auch wie der Wechsel zwischen Präsenz- und Onlinevorlesungen stattfinden soll ist unklar. Bestätigungen für belegte Vorlesungen wurden teilweise erst am letzten Freitag oder überhaupt nicht mitgeteilt. Wie lässt sich das mit dem vom Präsidium gegeben Versprechen, dass dieses Semester für alle Studierende zuverlässig planbar sein soll, vereinbahren?

Aber schon in den letzten Jahren zeigte sich besonders deutlich, nicht zuletzt wegen des Aufstiegs der rechtsextremen Alternative für Deutschland, auch für die letzten unter uns, dass Politik nicht an der Schwelle zur Universität Halt macht. Es zeigte sich wie leicht sich Universitätsleitungen für antidemokratische Ziele vereinnahmen lassen.

Wir haben in den letzten Jahren unter dem amtierenden Präsidium die verfasste Studierendenschaft gegen zahlreiche Angriffe verteidigen müssen. So versuchte unsere Universitätsleitung, inspiriert von Verleumdungen und Unterstellungen aus der Presse, mehrfach in unsere Autonomie als studentische Selbstverwaltung einzugreifen. Sie haben unser Beratungssystem, den Kinderladen, unsere gemeinsame Verwaltungsvereinbarung und die Existenzberechtigung von Fachschaften in Frage gestellt. Sie haben, trotz Satzungsautonomie, versucht eigenhändig unsere Satzung zu ändern, die Geschlechterquotierung unserer Redelisten abzuschaffen und im letzten Oktober eine studentische Vollversammlung, das höchste beschlussfähige Organ der Studierenden, durch einen Polizeieinsatz räumen lassen. Ihr seht: die Selbstbestimmung der Studierenden und Humboldt-Universität sind unter dem gegenwärtigen Präsidium nicht mehr gegen Eingriffe von Außen geschützt.

Einen traurigen Höhepunkt dieser Politik, bildete der Versuch Namenslisten für die AfD zu erstellen. Die AfD richtet unter anderem durch parlamentarische Anfragen in Berlin ihre Aufmerksamkeit auch auf die Hochschulen und macht dabei die üblichen Feindbilder aus: vermeintlich undemokratische, linksextreme Studivertreter_innen und die Gender Studies. Wir mussten in den letzten zwei Jahren leider feststellen, dass das Universitätspräsidium unter Frau Kunst die Lehr- und Forschungsfreiheit und die Autonomie der Hochschule nur dann verteidigt, wenn es nicht allzu anstrengend wird und dass die Präsidentin wohl kein Problem damit hätte, wenn ihr unliebsame studentische Vertreter_innen, wie wir es oft sind, auf Feindeslisten auftauchen würden. Und so entschloss sie sich, nach Aufforderung durch den SPD-Staatssekretär Steffen Krach, uns auf die Herausgabe dieser Namensliste für ebenjene Partei zu verklagen. Aber wir können euch versichern: Wir bestehen auf unsere Autonomie und akzeptieren keine Kontrolle seitens der AfD. Erst recht reichen wir keine Namenslisten an Faschist_innen weiter!

"Demokratie braucht Öffentlichkeit“ ist eine vielbeschworene Floskel der Präsidentin. Demokratie ist an dieser Uni ein Wort, mit dem man sich gerne schmückt, das aber zu oft, wenn es darauf ankommt, nicht für Studierende existiert. Zur bildlichen Darstellung: Im akademischen Senat gibt es Platz für vier studentische Vertreter_innen, aber 13 Professor_innen. Das heißt, jedes gewählte studentische Mitglied vertritt fast 10000 Studierende. Die professorale Mehrheit mit 13 Sitzen ist ein Rest feudalen Denkens, das endlich durch ein System mit größerer Partizipation der nichtprofessoralen Mitgliedergruppen ersetzt gehört!

Was passiert, sobald es auch nur den Anschein eines demokratischen Prozesses gibt und eine Wahl nicht so ausgeht, wie von den Professor_innen gewünscht, konnten wir neulich im Konzil der HU beobachten: Da wurde statt dem bisherigen professoralen Vorsitzenden eine Vorsitzende aus der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen gewählt, und prompt haben die beleidigten Professor_innen die Fortführung der Sitzung blockiert.

Ihr seht, wenn von Demokratie an dieser Universität die Rede ist, sind nicht wir Studierenden gemeint.

Uns wird regelmäßig vorgeworfen, die genannten Missstände und Fehltritte immer wieder zu thematisieren weil wir Aufmerksamkeit wollten. Uns wird regelmäßig abgesprochen legitime Anliegen zu vertreten und konstruktiv zu sein, weil wir keinen Frieden mit diesen Verhältnissen akzeptieren können. Und so hat es inzwischen auch keine Folgen mehr, wenn rechte Professoren dieser Universität studentische Vertreter_innen in aller Öffentlichkeit beleidigen oder Studierende sogar körperlich angreifen. Letzteres wurde von der Präsidentin sogar als „menschlich nachvollziehbare“ Handlung bezeichnet. Ihr seht: die, von Professor_innen mit guten Pressekontakten, so viel beschworene Verrohung des Diskurses an Universitäten und Verstöße gegen sogenannte akademische Gepflogenheiten, gehen hier nicht von Studierenden aus.

Das Hochschulgesetz in Berlin überträgt den Hochschulen die Aufgabe, am Erhalt des demokratischen und sozialen Rechtsstaates mitzuwirken. Das, was sich im Gesetz vielleicht wie ein unwichtiger Nebensatz anhört, wird in Zeiten des weltweiten Aufstiegs Rechtsradikaler immer mehr zu einer zentralen Aufgabe jeder Institution. Wir wünschen uns, dass auch die HU die Gefahren sieht und ernst nimmt. Wir wollen, dass dieser Nebensatz nicht mehr als unwichtiger Zusatz angesehen wird, den man ignorieren oder gar, mit dem Verweis darauf, das sei doch gar keine Aufgabe der Universität, streichen kann, wie es in einem internen Papier hieß. Wir hoffen, und treten dafür ein, dass die Universität nicht in eine rein technokratische Betrachtungsweise verfällt und ihre Aufgabe nicht darin erschöpft sieht, Exzellenzgelder zu verwalten oder Marketingkampagnen zu erstellen. Denn dabei verliert sie den Blick für ihre politische Verantwortung. Dabei verliert sie ihren Zweck ein Ort der Bildung und Forschung zu sein. Wir hoffen, dass die Universität uns zur Seite steht, wenn es darum geht, frühere Fehler - auch dieser Universität - nicht zu wiederholen. Wir hoffen, und engagieren uns dafür, euch auch in Zukunft sagen zu können, dass die Universität zumindest den Anspruch hat, selbst in unmenschlichen Zeiten ein Ort der Menschlichkeit zu sein.

Wir sind uns unserer gesetzlichen und politischen Verantwortung gegenüber den Studierenden und gegenüber der Universität bewusst. Wir werden uns nach wie vor dafür einsetzen, dass Studierende an der HU ein erfolgreiches Studium, das über die in der Studienordnung geregelten Möglichkeiten hinausgeht, absolvieren können. Ohne Diskriminierung und ohne Hetze. Wir laden euch ein, in die Fachschaften zu gehen, beim Referent_innenRat vorbeizuschauen, die Angebote der verfassten Studierendenschaft zu nutzen, euch persönlich, politisch und wissenschaftlich weiter zu entwickeln und die Freiheiten, für die Generationen von Studierenden vor uns gekämpft haben, zu genießen und zu verteidigen.

Ein schönes, erfolgreiches und ertragreiches akademisches Jahr wünschen wir euch. Auf dass die Corona-Pandemie und der regressive Spuk auch wieder schnell vorbei sein mögen!

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  • erstellt:19.10.21, 14:06
  • geändert:19.10.21, 14:07