Aktuelles

Rede zur feierlichen Erstimmatrikulation

Wie jedes Jahr war der RefRat in der offiziellen Eröffnung des akademischen Jahres in Adlershof vertreten. Die Begrüßungsrede im Wortlaut könnt ihr hier nachlesen:



Liebe Kommiliton_innen,

auch wir heißen euch willkommen an der Humboldt-Universität!

Wir sind João, Referent für Finanzen und Jule, Referentin für Lehre und Studium, Vertreter_innen des Referent_innenrats, kurz RefRat. Der RefRat ist die politische Vertretung der knapp 40.000 Studierenden an der Humboldt-Universität auf universitärer Ebene. An anderen Unis heißt sie meist AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss) oder StuRa (Student_innenrat). Auf Fachbereichs- bzw. Studiengangsebene gibt es Fachschaftsräte und - initiativen, die euch vertreten und beim Studium unterstützen. 

Der RefRat gliedert sich in 16 Referate, die vom StuPa, dem Studierendenparlament, gewählt werden. Einmal im Jahr, i.d.R. im Januar, seid ihr zur Wahl des StuPas aufgerufen. RefRat, StuPa und Fachschaften sind alle Teil der studentischen Selbstverwaltung, die wiederum autonome Teilkörperschaft der Universität ist. Sie gibt sich ihre Satzung selbst und ist damit eine unabhängige demokratische Institution. Sie untersteht nur der Rechtsaufsicht der Universität.

Was machen wir? Wir unterstützen euch bei eurem Studium und eurem Engagement an der Universität, aber vor allem vertreten wir eure politischen Interessen universitätsintern und -extern. Wir haben ein sehr breit aufgestelltes studentisches Sozialberatungssystem (SSBS), bspw. mit der Studienfinanzierungs- und Bafög-Beratung, die Antidiskriminierungsberatung (ADB), verschiedene kostenlose Rechtsberatungen mit Anwälten und viele mehr. Es gibt zahlreiche Projekte der Studentischen Selbstverwaltung, wie die Zeitung HUch!, die vom Referat für Publikation herausgegeben wird, das Café Krähe, das SBZ MoPs, die selbstorganisierte Fahradwerkstatt HUbschrauber und viele verschiedene Studigruppen, die z.B. die kritische Orientierungswoche organisieren. Wenn ihr die Möglichkeit habt, lasst die Regelstudienzeit außen vor, mischt euch ein und gestaltet die Uni mit uns! 

In den Redebeiträgen, die ihr hier heute gehört habt bzw. hören werdet, geht es vor allem darum, wie exzellent diese Uni ist, wie tolerant, wie demokratisch, wie fortschrittlich. Ein Blick hinter diese Fassade macht deutlich, dass vieles davon leere Worte sind. Jedes Jahr wieder werden wir eingeladen hier ein Grußwort zu sprechen. Und jedes Jahr zeigt sich wieder, dass ein Großteil der Kritik aus dem Vorjahr noch aktuell ist:

Als neue Studierende der HU musstet ihr diverse Zulassungshürden überwinden und einige von euch wurden sicher in sehr umfangreichem Maße mit der Bürokratie dieser Hochschule konfrontiert. Manche von euch kennen uns vielleicht schon, weil wir euch geholfen haben euer Recht auf einen Studienplatz einzuklagen. Manche von euch sind ohne Abitur, aber mit Berufserfahrung hier angekommen. Diese werden noch schwerer zu kämpfen gehabt haben mit den verschiedenen Hürden und Fehlinformationen, die aus dieser Hochschule, wie aus vielen anderen, ein Ort der sozialen Selektion machen. Aber erstmal seid ihr angekommen.

Viele denken, diese Selektion hört in dem Moment auf, in dem ihr euch einschreibt und danach würde Leistung zählen. Eine Leistung, die fair bemessen werden soll. Leider können wir euch keine Entwarnung geben. Ihr werdet oft genug erleben dürfen, wie von Dozierenden Frauen*, Arbeiter_innenkinder, Ausländer_innen oder nicht-weiße Personen anders behandelt werden. Ihr werdet auch erleben, dass Studien- und Prüfungsordnungen, Regelstudienzeiten, Beratungsangebote, Mensa-Öffnungszeiten, Lagepläne, Räumlichkeiten usw. bei aller inklusiver Rhetorik immer noch gemacht und gedacht sind mit einem bestimmten Studenten im Kopf: männlich, deutsch, mit Geld und Zeit, ohne Kinder, ohne Behinderung, ohne chronische Krankheit.

Im Zugang zur Universität werden nicht-deutsche Bewerber_innen nach wie vor durch zusätzliche, kostenpflichtige Vorprüfung von Zeugnissen seitens des Privatvereins uni-assist diskriminiert. 

Geflüchtete haben nach wie vor eine zu geringe  Unterstützung, was Anerkennung bisheriger Leistungen, von Sprachkursen usw. angeht, sodass ihnen der Zugang zur Hochschule nach wie vor praktisch unmöglich gemacht wird.

Wir setzen uns im Rahmen der akademischen und studentischen Selbstverwaltung dafür ein, dass diese Universität zumindest ihren Lippenbekenntnissen zu “Diversity”, “Barrierefreiheit” und “Familienfreundlichkeit” gerecht wird - auch wenn sie sie irgendwann aufgeben sollte. Einiges haben wir erreicht in den letzten Jahren: abgeschafft wurden Anwesenheitskontrollen, Zwangsberatungen und Zwangsexmatrikulationen, letztere zumindest, wenn die Uni euren Studiengang nicht mittendrin einstellt oder ihr plötzlich auf Lehramt wechseln sollt, weil euer Studiengang auf einmal nur noch mit Lehramtsbezug angeboten wird. Die Anerkennung und Nutzung der richtigen Namen von Trans* Personen in Zeugnissen hatten wir bereits erreicht und doch streiten wir uns mit dem Präsidium aktuell wieder darum. Vieles bleibt noch zu erreichen. Aber noch viel mehr gilt es zu verteidigen!

Die Humboldt-Universität befindet sich mitten in Berlin und ist auch Teil dieser Stadt. Als Studierende und als Universität haben wir zu oft die Tendenz uns abzukoppeln von  Entwicklungen in Stadt und Gesellschaft. Es ist aber auch an uns über die Grenzen der Universität zu schauen und aktiv zu sein. In den letzten Jahren zeigte sich, nicht zuletzt wegen des Aufstiegs der rechtsextremen Alternative für Deutschland, auch für die letzten unter uns, dass Politik nicht an der Schwelle zur Universität halt macht. Die AfD richtete unter anderem durch parlamentarische Anfragen in Berlin ihre Aufmerksamkeit auch auf die Uni und machte die übliche Feindbilder aus: vermeintlich undemokratische linksextreme Studivertreter_innen und die Gender Studies. Wir mussten dabei leider feststellen, dass das Präsidium dieser Universität die Lehr- und Forschungsfreiheit und die Autonomie der Hochschule nur dann verteidigt, wenn es nicht allzu anstrengend wird und dass die Präsidentin wohl kein Problem damit hätte, wenn ihr unliebsame studentische Vertreter_innen, wie wir es oft sind, auf Feindeslisten auftauchen würden. 

In einer sehr umfangreichen Anfrage zu den Studierendenvertretungen der drei großen Berliner Universitäten, verlangte die AfD nicht nur Auskunft über die Strukturen studentischer Selbstverwaltungen und ihre Finanzierung, sie verlangte auch die Herausgabe einer Namensliste mit den Namen aller Referent_innen und Mitarbeiter_innen der letzten 10 Jahre. Anstatt sich mit der FU und der TU auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen bzw. sich den beiden anderen Universitäten anzuschließen und die Beantwortung mit einem Verweis auf den Datenschutz zu verweigern, entschloss sich das HU-Präsidium uns auf die Herausgabe dieser Liste zu verklagen. Eine inneruniversitäre Lösung mit uns zu suchen wäre wohl zu anstrengend. Dass wir nicht auf Namenslisten einer Partei mit Verbindungen ins neonazistische Lager stehen möchten, kann das HU-Präsidium nicht nachvollziehen. Wir wollen diese Gelegenheit nutzen, den Mediendarstellungen und der Darstellung seitens der Universitätsleitung klar zu widersprechen und euch zu versichern: weder verstecken wir uns, noch sind unsere Namen geheim. Wir sind keine Untergrundorganisation, sondern eine Studierendenvertretung. Wir bestehen aber auf unsere Autonomie und akzeptieren keine Kontrolle seitens der AfD. Erst recht arbeiten wir ihr nicht zu!

Doch damit nicht genug! In weiteren Schreiben kündigte uns das Präsidium mal an unsere gemeinsame Verwaltungsvereinbarung kündigen zu wollen, oder mal auch nicht und sie stattdessen zu überarbeiten - über die genaue Position schien man sich dort lange uneinig zu sein. Die Änderungsvorschläge beinhalteten etwa die Ankündigung in Zukunft Miete für die von der Studierendenschaft genutzten Räume und die gemeinsame Infrastruktur, wie z.B. Portokosten für die Verschickung von Briefwahlunterlagen verlangen zu wollen. Zudem wird die Rechtmäßigkeit von Fachschaftsinitiativen in Frage gestellt. Das studentische Sozialberatungssystem (SSBS), in dessen Rahmen wir jährlich etwa 8000 Beratungskontakte haben und die Kinderbetreuung, die wir mit dem Kinderladen Die Humbolde übernehmen, machen das Studium an dieser Universität erst studierbar und die Uni Familienfreundlich - auch sie stehen aktuell zur Disposition. 

Falls ihr von dem Streit um die Stellen der studentischen Hilfskräfte gehört habt: die Uni hat die Gelegenheit nebenbei genutzt, auch unsere Beratungsstellen in Frage zu stellen. Die Bafög Beratung der Studierendenschaft leidet jetzt schon darunter. Dieses Vorgehen gegen uns wird damit begründet, man wolle die Anstellung von SHKs und Einrichtungen der studentischen Selbstverwaltung auf "rechtlich sichere Füße" stellen und die Demokratie an dieser Universität stärken - wir sind Fans von Zynismus, aber das geht doch langsam zu weit.

"Demokratie braucht Öffentlichkeit" ist eine vielbeschworene Floskel an dieser Universität. Man sagt sie während man uns für Auskünfte für die AfD verklagt und kein Interesse an datenschutzrechtlichen Bedenken zeigt, aber nicht wenn man unseren Mailverteiler aus Datenschutzgründen abschaltet, weswegen es uns grad schwer fällt, euch zu erreichen. Immerhin wurden wir heute eingeladen. 

Demokratie ist an dieser Uni ein Wort, mit dem man sich gerne schmückt, das aber zu oft, wenn es darauf ankommt, nicht für Studierende existiert. Zur bildlichen Darstellung: Im akademischen Senat gibt es Platz für vier studentische Vertreter_innen. Das heißt, jedes gewählte Mitglied vertritt fast 10000 Studierende. Die professorale Mehrheit ist ein Rest feudalen Denkens und gehört endlich durch ein System ersetzt, das eine größere Partizipation, auch der anderen Statusgruppen, ermöglicht!

Das Hochschulgesetz in Berlin überträgt den Hochschulen die Aufgabe, an dem Erhalt des demokratischen und sozialen Rechtsstaates mitzuwirken. Das, was sich im Gesetz vielleicht wie ein unwichtiger Nebensatz anhört, wird in Zeiten des Aufstiegs des Rechtspopulismus immer mehr zu einer zentralen Aufgabe von jeder demokratischen Institution. Wir wünschen uns, dass auch die HU die Gefahren sieht und ernst nimmt. Wir wollen, dass dieser Nebensatz nicht mehr als unwichtiger Zusatz angesehen wird, den man ignorieren oder gar, mit dem Verweis darauf, das sei doch gar keine Aufgabe der Universität, aus der Verwaltungsvereinbarung streichen kann, wie es in einem internen Papier hieß. Wir hoffen, und treten dafür ein, dass die Universität nicht in eine rein juristischen Betrachtungsweise verfällt und ihre Aufgabe nicht darin erschöpft sieht, Exzellenzgelder zu verwalten. Dabei verliert sie den Blick für ihre politische Verantwortung. Wir hoffen, dass die Universität uns zur Seite steht, wenn es darum geht, frühere Fehler - auch dieser Universität - nicht zu wiederholen. Wir hoffen, und engagieren uns dafür, euch auch in Zukunft sagen zu können, dass die Universität zumindest den Anspruch hat, selbst in unmenschliche Zeiten ein Ort der Menschlichkeit zu sein.

Wir sind uns unserer gesetzlichen und politischen Verantwortung gegenüber den Studierenden und gegenüber der Universität bewusst. Wir werden uns nach wie vor dafür einsetzen, dass Studierende an der HU ein erfolgreiches Studium, das über die in der Studienordnung geregelten Möglichkeiten hinausgeht, absolvieren können. Ohne Diskriminierung und ohne Hetze. Wir laden euch ein, in die Fachschaften zu gehen, beim Referent_innenRat vorbeizuschauen, die Angebote der verfassten Studierendenschaft zu nutzen, euch persönlich, politisch und wissenschaftlich weiter zu entwickeln und die Freiheiten, für die Generationen von Studierenden vor uns gekämpft haben, zu genießen und zu verteidigen. 

Ein schönes, erfolgreiches und ertragreiches akademisches Jahr wünschen wir euch. Auf dass der regressive Spuk auch wieder schnell vorbei sein möge!

Kommt zur studentischen Vollversammlung am 31. 10. um 12 Uhr in Hörsaal 2002 im Hauptgebäude und lasst uns nicht nur über die Uni reden, sondern sie verändern!

 

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  • erstellt:16.10.18, 12:10
  • geändert:08.03.20, 13:58